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Im Gegensatz zum überlieferten Volksmärchen mit unbekannter Autorenschaft ist das Kunstmärchen mit dem Namen seines Schöpfers verbunden. Der wohl bekannteste Autor innerhalb dieser Märchengattung ist der Däne Hans Christian Andersen. Er schafft eine Verbindung zwischen Phantasie und Realität, denn einige seiner Geschichten könnten sich tatsächlich auch so zugetragen haben. Wo dies nicht der Fall ist, kommen sie zumindest ohne den übermäßigen Einsatz magischer Elemente aus. Andersens muss sich selten dieses Kunstgriffs bedienen, schafft er es doch, den Zauber des Lebens zu erkennen und in die Realität hineinzutragen.
Andersens Sprache hat sehr viel vom Stil moderner Comichefte. Mit »Piep! piep!« schlüpfen die Küken in der Geschichte vom hässlichen Entlein aus dem Ei. »Rapp! rapp!« gibt die Entenmutter den Jungen als Kommando, sich aufzurappeln. »Piff! Paff!« stellt ihnen der Jäger nach. Andersen setzt neue sprachliche Akzente, die bei seinen zeitgenössischen Kritikern gar nicht gut ankommen - doch das Publikum ist davon begeistert. Da er oft unterschwellige Gesellschaftskritik in seine Geschichten einbaut, spricht Andersen auch Erwachsene an. Er will die Zuhörer auf sanfte Weise belehren und die Welt ein Stückchen besser machen. Seine eigene Biographie hat er auf wunderbare Weise im Märchen vom hässlichen Entlein beschrieben.
Es war herrlich draußen auf dem Lande. Es war im Sommer, das Korn stand gelb, der Hafer grün, das Heu war unten auf den grünen Wiesen in Schobern aufgesetzt, und der Storch ging auf seinen langen, roten Beinen und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Frau Mutter gelernt. Rings um die Äcker und die Wiesen gab es große Wälder und mitten in den Wäldern tiefe Seen. Ja, es war wirklich herrlich da draußen auf dem Lande! Mitten im Sonnenschein lag dort ein altes Landgut, von tiefen Kanälen umgeben; und von der Mauer bis zum Wasser herunter wuchsen große Klettenblätter, die so hoch waren, daß kleine Kinder unter den höchsten aufrecht stehen konnten; es war ebenso wild darin wie im tiefsten Walde. Hier saß eine Ente auf ihrem Nest, welche ihre Jungen ausbrüten mußte; aber es wurde ihr fast zu langweilig, bis die Jungen kamen. Dazu erhielt sie selten Besuch; die andern Enten schwammen lieber in den Kanälen umher, als daß sie hinaufliefen und sich unter ein Klettenblatt zu setzen, um mit ihr zu schnattern.
Endlich platzte ein Ei nach dem anderen; »Piep!
piep!«
sagte es, und alle Eidotter waren lebendig geworden und steckten die
Köpfe heraus. »Rapp! rapp!« sagte sie; und
so
rappelten sich alle, was sie konnten, und sahen nach allen Seiten unter
den grünen Blättern; und die Mutter ließ
sie sehen, so
viel sie wollten, denn das Grüne ist gut für die
Augen.
»Wie groß ist doch die Welt!« sagten alle
Jungen,
denn nun hatten sie freilich viel mehr Platz, als wie sie noch drinnen
im Ei lagen. »Glaubt ihr, daß dies die ganze Welt
ist?« sagte die Mutter; »die erstreckt sich noch
weit
über die andere Seite des Gartens, gerade hinein in des
Pfarrers
Feld; aber da bin ich noch nie gewesen!« –
»Ihr seid
doch alle beisammen?« fuhr sie fort und stand auf.
»Nein,
ich habe nicht alle; das größte Ei liegt noch da;
wie lange
soll denn das dauern! Jetzt bin ich es bald
überdrüssig!« und so setzt sie sich wieder.
»Nun, wie geht es?« fragte eine alte Ente, welche
gekommen
war, um ihr einen Besuch abzustatten. »Es währt
recht lange
mit dem einen Ei!« sagte die Ente, die da saß; es
will
nicht platzen; doch sieh nur die andern an; sind es nicht die
niedlichsten Entlein, die man je gesehen? Sie gleichen allesamt ihrem
Vater; der Bösewicht kommt nicht, mich zu besuchen.«
»Laß mich das Ei sehen, welches nicht platzen
will!«
sagte die Alte. »Glaube mir, es ist ein Kalekuten-Ei! Ich bin
auch einmal so angeführt worden und hatte meine
große Sorge
und Not mit den Jungen, denn ihnen ist bange vor dem Wasser! Ich konnte
sie nicht hineinbringen; ich rappte und schnappte, aber es half nicht.
Laß mich das Ei sehen! Ja, das ist ein Kalekuten-Ei!
Laß
das liegen und lehre lieber die andern Kinder schwimmen.«
»Ich will doch noch ein bißchen darauf
sitzen«, sagte
die Ente; »habe ich nun so lange gesessen, so kann ich auch
noch
einige Tage sitzen. »Nach Belieben«, sagte die alte
Ente
und ging von dannen. Endlich platze das Ei. »Piep!
piep!« sagte das
Junge und
kroch heraus. Es war sehr groß und
häßlich! Die Ente
betrachtete es: »Es ist doch ein gewaltig großes
Entlein
das«, sagte sie; »keins von den andern sieht so
aus; sollte
es wohl ein kalikultisches Küchlein sein? Nun, wir wollen bald
dahinterkommen; in das Wasser muß es, sollte ich es auch
selbst
hineinstoßen.«
Am nächsten Tage war schönes, herrliches Wetter; die
Sonne
schien auf alle grünen Kletten. Die Entleinmutter ging mit
ihrer
ganzen Familie zum Kanal hinunter. Platsch! da sprang sie ins
Wasser. »Rapp! rapp!« sagte sie, und ein Entlein
nach dem
andern plumpste hinein; das Wasser schlug ihnen über dem Kopf
zusammen, aber sie kamen gleich wieder empor und schwammen ganz
prächtig; die Beine gingen von selbst, und alle waren sie im
Wasser; selbst das häßliche, graue Junge schwamm mit.
»Nein, es ist kein Kalekut«, sagte sie;
»Sieh, wie
herrlich es die Beine gebraucht, wie gerade es sich hält; es
ist
mein eigenes Kind! Im Grunde ist es doch ganz hübsch, wenn man
es
nur recht betrachtet. Rapp! rapp! Kommt nur mit mir, ich werde euch in
die große Welt führen, euch im Entenhofe
präsentieren;
aber haltet euch immer nahe zu mir, damit euch niemand tritt, und nehmt
euch vor den Katzen in acht!«
Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Drinnen war ein schrecklicher
Lärm, denn da waren zwei Familien, die sich um einen Aalkopf
bissen, und am Ende bekam ihn doch die Katze. »Seht, so geht
es in der Welt zu!« sagte die
Entleinmutter
und wetzte ihren Schnaubel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben.
»Braucht nun die Beine!« sagte sie;
»seht, daß
ihr euch rappeln könnt, und neigt euren Hals vor der alten
Ente
dort; die ist die vornehmste von allen hier; sie ist aus spanischem
Geblüt, deshalb ist sie so dick, und seht ihr: sie hat einen
roten
Lappen um das Bein; das ist etwas außerordentlich
Schönes
und die größte Auszeichnung, welche einer Ente
zuteil werden
kann. Das bedeutet so viel, daß man sie nicht verlieren will
und
daß sie von Tier und Menschen erkannt werden soll! Rappelt
euch!
Setzt die Füße nicht einwärts; ein
wohlerzogenes
Entlein setzt die Füße weit auswärts,
gerade wie Vater
und Mutter; seht: so! Nun neigt euren Hals und sagt: Rapp.«
Und das taten sie; aber die andern Enten ringsumher betrachteten sie
und sagten ganz laut: »Sieh da! Nun sollen wir noch den
Anhang
haben; als ob wir nicht schon so genug wären! Und pfui! Wie
das
eine Entlein aussieht, das wollen wir nicht dulden!« Und
sogleich
flog eine Ente hin und biß es in den Nacken.
»Laß es
gehen!« sagte die Mutter; »es tut ja niemandem
etwas.« »Ja, aber es ist zu groß und
ungewöhnlich«, sagte die beißende Ente;
»und
deshalb muß es gepufft werden.«
»Es sind hübsche Kinder, welche die Mutter
hat«, sagte
die alte Ente mit dem Lappen um das Bein; »alle
schön, bis
auf das eine; das ist nicht geglückt; ich möchte,
daß
sie es umarbeiten könnte.« »Das geht
nicht, Ihro
Gnaden«, sagte die Entleinmutter; »es ist nicht
hübsch, aber es hat ein innerlich gutes Gemüt und
schwimmt so
herrlich wie eins von den andern, ja, ich darf sagen, noch etwas
besser. Ich denke, es wird hübsch heranwachsen und mit der
Zeit
etwas kleiner werden; es hat zu lange in dem Ei gelegen und deshalb
nicht die rechte Gestalt bekommen!« Und so zupfte sie es im
Nacken und glättete das Gefieder. »Es ist
überdies ein
Enterich«, sagte sie; »und darum nacht es nicht so
viel
aus. Ich denke, er wird gute Kräfte bekommen; er
schlägt sich
schon durch.«
»Die anderen Entlein sind niedlich«, sagte die
Alte;
»tut nun, als ob ihr zu Hause wäret, und findet ihr
einen
Aalkopf, so könnt ihr ihn mir bringen.« Und nun
waren sie zu
Hause. Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war
und so
häßlich aussah, wurde gebissen, gestoßen
und
ausgelacht, und das sowohl von den Enten wie von den Hühnern.
»Es ist zu groß!« sagten alle, und der
kalikultische
Hahn, welcher mit Sporen zur Welt gekommen war und deshalb glaubte,
daß er Kaiser sei, blies sich auf wie ein Fahrzeug mit vollen
Segeln und ging gerade auf dasselbe los; dann kollerte er und wurde
ganz rot am Kopf. Das arme Entlein wußte nicht, wo es stehen
oder
gehen sollte; es war so betrübt, weil es
häßlich aussah
und vom ganzen Entenhof verspottet wurde.
So ging es den ersten Tag, und später wurde es schlimmer und
schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt; selbst seine
Schwestern waren ganz böse gegen dasselbe und sagten immer:
»Wenn die Katze dich nur fangen möchte, du
häßliches Geschöpf!« Und die
Mutter sagte:
»Wenn du nur weit fort wärst!« Und die
Enten bissen
es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen,
welches die
Tiere füttern sollte, stieß mit den
Füßen noch
ihm.
Da lief es und flog über den Zaun, die kleinen Vögel
in den
Büschen flogen erschrocken auf. »Das geschieht, weil
ich so
häßlich bin«, dachte das Entlein und
schloß die
Augen, lief aber gleichwohl weiter; so kam es hinaus zu dem
großen Moor, wo die wilden Enten wohnten. Hier lag es die
ganze
Nacht; es war so müde und kummervoll. Gegen Morgen flogen die
wilden Enten auf, und sie betrachteten den
neuen Kameraden. »Was bist du für einer?«
fragten sie;
und das Entlein wendete sich nach allen Seiten und
grüßte,
so gut es konnte.
»Du bist außerordentlich
häßlich!« sagten
die wilden Enten; »Aber das kann uns gleich sein, wenn du nur
nicht in unsere Familie hineinheiratest.« Das Arme! Es dachte
wahrlich nicht daran, sich zu verheiraten, wenn es nur die Erlaubnis
erhalten konnte, im Schilf zu liegen und etwas Moorwasser zu trinken.
So lag es zwei ganze Tage, da kamen zwei wilde Gänse oder
richtiger wilde Gänseriche dorthin; es war noch nicht lange
her,
daß sie aus dem Ei gekrochen waren, und deshalb waren sie
auch so
keck. »Höre, Kamerad!« sagten sie;
»du
bist so
häßlich, daß ich dich gut leiden mag;
willst du
mitziehen und Zugvogel werden? Hier nahebei in einem andern Moor gibt
es einige süße, liebliche, wilde Gänse,
nämlich
Fräuleins, die alle »Rapp!« sagen
können. Du bist
imstande, dein Glück dort zu machen, so
häßlich du auch
bist!«
»Piff! Paff!« ertönte es eben, und beide
wilde
Gänseriche fielen tot in das Schilf nieder, und das Wasser
wurde
blutrot. »Piff! Paff – erscholl es wieder und ganze
Scharen
wilder Gänse flogen aus dem Schilf auf. Und dann knallte es
abermals. Es war große Jagd, die Jäger lagen rings
um das
Moor herum; ja, einige saßen oben in den Baumzweigen, welche
sich
weit über das Schilfrohr hinstreckten. Der blaue Dampf zog
gleich
Wolken in die dunkeln Bäume hinein und weit über das
Wasser
hin; zum Moore kamen die Jagdhunde. Platsch, Platsch, das Schilf und
das Rohr neigte sich nach allen Seiten. Das war ein Schreck
für
das arme Entlein. Es wendete den Kopf, um ihn unter den Flügel
zu
stecken, aber in demselben Augenblick stand ein fürchterlich
großer Hund dicht bei dem Entlein; die Zunge hing ihm lang
aus
dem Halse heraus, und die Augen leuchteten greulich
häßlich;
er steckte seine Schnauze dem Entlein gerade entgegen, zeigte ihm die
scharfen Zähne und – – Platsch, Platsch!
ging er
wieder, ohne es zu packen.
»O Gott sei Dank!« seufzte das Entlein;
»ich bin so
häßlich, daß mich selbst der Hund nicht
beißen
mag!« Und so lag es ganz still, während die
Schrotkugeln
durch das Schild sausten und Schuß auf Schuß
knallte. Erst spät am Tage wurde es ruhig; aber das arme Junge
wagte
noch
nicht, sich zu erheben; es wartete noch mehrere Stunden, bevor es sich
umsah, und dann eilte es fort aus dem Moor, so schnell es konnte. Es
lief über Feld und Wiese; da tobte ein solcher Sturm,
daß es
ihm schwer wurde, von der Stelle zu kommen.
Gegen Abend erreichte es eine kleine armselige Bauernhütte;
die
war so baufällig, daß sie selbst nicht
wußte, nach
welcher Seite sie fallen sollte, und darum blieb sie stehen. Der Sturm
umsauste das Entlein so, daß es sich niedersetzen
mußte, um
sich dagegenzustemmen, und es wurde schlimmer und schlimmer. Da
bemerkte es, daß die Tür aus der einen Angel
gegangen war
und so schief hing, daß es durch die Spalte in die Stube
hineinschlüpfen konnte, und das tat es.
Hier wohnte eine Frau mit ihrem Kater und ihrer Henne. Und der Kater,
welchen sie »Söhnchen« nannte, konnte
einen Buckel
machen und schnurren; er sprühte sogar Funken aber dann
mußte man ihn gegen die Haare streichen. Die Henne hatte ganz
kleine niedrige Beine, und deshalb wurde sie
»Küchelchen-Kurzbein« genannt; sie legte
gute Eier,
und die Frau liebte sie wie ihr eigenes Kind. Am Morgen bemerkte man
sogleich das fremde Entlein; und der Kater begann zu schnurren und die
Henne zu glucken.
»Was ist das?« sagte die Frau und sah sich rings
um; aber
sie sah nicht gut, und so glaubte sie, daß das Entlein eine
fette
Ente sei, die sich verirrt habe. »Das ist ja ein seltener
Fang!« sagte sie. »Nun kann ich Enteneier bekommen.
Wenn es
nur kein Enterich ist! Das müssen wir erproben.«
Und so wurde das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen;
aber es kamen keine Eier. Und der Kater war Herr im Hause, und die
Henne war die Dame, und immer sagte sie: »Wir und die
Welt!« Denn sie glaubte, daß sie die
Hälfte seien, und
zwar bei weitem die beste Hälfte. Das Entlein glaubte,
daß
man auch eine andere Meinung haben könne; aber das litt die
Henne
nicht. »Kannst du Eier legen?« fragte sie.
»Nein!« »Nun, kann wirst du die
Güte haben, zu
schweigen!«
Und der Kater sagte; »Kannst du einen krummen Buckel machen,
schnurren und Funken sprühen?«
»Nein!« »So
darfst du auch keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute
reden!« Und das Entlein saß im Winkel und war bei
schlechter Laune. Da fiel die frische Luft und der Sonnenschein herein;
es bekam solch sonderbare Lust, auf dem Wasser zu schwimmen,
daß
es nicht unterlassen konnte, dies der Henne zu sagen.
»Was fällt dir ein?« fragte die.
»Du hast nichts
zu tun, deshalb fängst du Grillen! Lege Eier oder schnurre, so
gehen sie vorüber.« »Aber es ist so
schön, auf
dem Wasser zu schwimmen!« sagte das Entlein; »So
herrlich,
es über dem Kopfe zusammenschlagen zu lassen und auf den Grund
zu
tauchen!«
»Ja, das ist ein großes
Vergnügen!« sagte die
Henne. »Du bist wohl verrückt geworden! Frage den
Kater
danach – er ist das klügste Geschöpf, das
ich kenne
– ob er es liebt, auf dem Wasser zu schwimmen oder
unterzutauchen? Ich will nicht vor mir sprechen. Frage selbst unsere
Herrschaft, die alte Frau; klüger als sie ist niemand auf der
Welt! Glaubst du, daß die Lust hat, zu schwimmen und das
Wasser
über dem Kopfe zusammenschlagen zu lassen?«
»Ihr versteht mich nicht!« sagte das Entlein.
»Wir
verstehen dich nicht? Wer soll dich denn verstehen können! Du
wirst doch wohl nicht klüger sein wollen als der Kater oder
die
Frau – von mir will ich nicht reden! Bilde dir nichts ein,
Kind!
Und danke deinem Schöpfer für all das Gute, was man
dir
erwiesen! Bist du nicht in eine warme Stube gekommen und hast du nicht
eine Gesellschaft, von der du etwas profitieren kannst? Aber du bist
ein Schwätzer, und es ist nicht erfreulich, mit dir umzugehen!
Mir
kannst du glauben! Ich meine es gut mit dir. Ich sage die
Unannehmlichkeiten, und daran kann man seine wahren Freunde erkennen!
Sieh nur zu, daß du Eier legst oder schnurren und Funken
sprühen lernst!«
»Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Welt!«
sagte das
Entlein. »Ja, tue das!« sagte die Henne. Und das
Entlein
ging; es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter, aber von allen
Tieren wurde es wegen seiner Häßlichkeit
übersehen.
Nun trat der Herbst ein; die Blätter im Walde wurden gelb und
braun; der Wind faßte sie, so daß sie umhertanzten;
und
oben in der Luft war es sehr kalt; die Wolken hingen schwer von Hagel
und Schneeflocken; und auf dem Zaun stand der Rabe und schrie:
»Au! Au!« vor lauter Kälte, ja, es fror
einen schon,
wenn man nur daran dachte. Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht
gut! Eines Abends – die Sonne ging so schön unter!
–
kam ein ganzer Schwarm herrlicher großer Vögel aus
dem
Busch; das Entlein hatte solche nie so schön gesehen; sie
waren
ganz blendend weiß, mit langen, geschmeidigen
Hälsen; es
waren Schwäne. Sie stießen einen ganz
eigentümlichen
Ton aus, breiteten ihre prächtigen langen Flügel aus
und
flogen aus der kalten Gegend fort nach wärmeren
Ländern, nach
offenen Seen! Sie stiegen so hoch, so hoch, und dem
häßlichen jungen Entlein wurde gar sonderbar zumute.
Es
drehte sich im Wasser wie ein Rad, rundherum, streckte den Hals hoch in
die Luft nach ihnen und stieß einen so lauten und sonderbaren
Schrei aus, daß es sich selbst davor fürchtete. Oh
es konnte
die schönen, glücklichen Vögel nicht
vergessen; und
sobald es sie nicht mehr erblickte, tauchte es unter bis auf den Grund,
und als es wieder heraufkam, war es wie außer sich. Es
wußte nicht, wie die Vögel hießen, auch
nicht, wohin
sie flogen; aber doch war es ihnen gut, wie es nie jemandem gewesen. Es
beneidete sie durchaus nicht. Wie konnte es ihm einfallen, sich solche
Lieblichkeit zu wünschen? Es wäre schon froh gewesen,
wenn
die Enten es nur unter sich geduldet hätten – das
arme
häßliche Tier!
Und der Winter wurde so kalt, so kalt! Das Entlein mußte im
Wasser herumschwimmen, um das völlige Zufrieren desselben zu
verhindern; aber in jeder Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm,
kleiner und kleiner. Es fror so, daß es in der Eisdecke
knackte;
das Entlein mußte fortwährend die Beine gebrauchen,
damit
das Loch sich nicht schloß. Zuletzt wurde es matt, lag ganz
still
und fror endlich im Eise fest. Des Morgens früh kam ein Bauer;
da er dies sah, ging er hin,
schlug mit seinem Holzschuh das Eis in Stücke und trug das
Entlein
heim zu seiner Frau. Da kam es wieder zu sich.
Die Kinder wollten mit ihm spielen; aber das Entlein glaubte, sie
wollten ihm etwas zuleide tun, und fuhr in der Angst gerade in den
Milchnapf hinein, so daß die Milch in die Stube spritzte. Die
Frau schlug die Hände zusammen, worauf es in das
Butterfaß,
dann hinunter in die Mehltonne und wieder herausflog. Wie sah es da
aus! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange danach; die Kinder
rannten einander über den Haufen, um das Entlein zu fangen;
sie
lachten und schrien; gut war es, daß die Tür
offenstand und
es zwischen die Reiser in den frischgefallenen Schnee
schlüpfen
konnte; dort lag es ganz ermattet. Aber all die Not und das Elend,
welches das Entlein in dem harten
Winter erdulden mußte, zu erzählen, würde
zu trübe
sein. Es lag im Moor zwischen dem Schild, als die Sonne wieder warm zu
scheinen begann. Die Lerchen sangen; es war herrlicher
Frühling.
Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen; sie
schlugen stärker als früher und trugen es
kräftig davon;
und ehe dasselbe es recht wußte, befand es sich in einem
großen Garten, wo die Äpfelbäume in der
Blüte
standen, wo der Flieder duftete und seine langen, grünen
Zweige
bis zu den gekrümmten Kanälen hinunterneigte. Oh,
hier war es
so schön, so frühlingsfrisch! Und vorn aus dem
Dickicht kamen
drei prächtige weiße Schwäne; sie brausten
mit den
Federn und schwimmen so leicht auf dem Wasser. Das Entlein kannte die
prächtigen Tiere und wurde von einer eigentümlichen
Traurigkeit befangen.
»Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen
Vögeln! Und sie werden mich totschlagen, weil ich, der ich so
häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage.
Aber das ist
einerlei! Besser, von ihnen getötet als von den Enten
gezwackt,
von den Hühnern geschlagen, von dem Mädchen, welches
den
Hühnerhof hütete, gestoßen zu werden und im
Winter zu
hungern und zu frieren!« Und es flog hinaus in das Wasser und
schwamm den prächtigen Schwänen entgegen; diese
erblickten es
und schossen mit emporgesträubtem Gefieder auf dasselbe los.
»Tötet mich nur!« sagte das arme Tier,
neigte seinen
Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. Aber was
erblickte
es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein
plumper schwarzgrauer Vogel mehr, häßlich und
garstig,
sondern selbst ein Schwan war. Es schadet nichts, in einem Entenhof
geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!
Es fühlte sich ordentlich erfreut über all die Not
und die
Drangsal, welche es erduldet. Nun erkannte es erst recht sein
Glück an all der Herzlichkeit, die es
begrüßte. Und die
großen Schwäne umschwammen es und streichelten es
mit dem
Schnabel. In den Garten kamen einige kleine Kinder, die warfen Brot und
Korn in
das Wasser; und das kleinste rief: »Da ist ein
neuer!« Und
die andern Kinder jubelten mit: »Ja, es ist ein neuer
angekommen!« Und sie klatschten mit den Händen und
tanzten
umher, liefen zu dem Vater und der Mutter, und es wurde Brot und Kuchen
in das Wasser geworfen, und sie sagten alle: »Der neue ist
der
Schönste: So jung und so prächtig!« Und die
alten
Schwäne neigten sich vor ihm.
Da fühlte er sich so beschämt und steckte den Kopf
unter
seine Flügel; er wußte selbst nicht, was er beginnen
sollte,
er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein
gutes
Herz wird nie stolz! Er dachte daran, wie er verfolgt und
verhöhnt
worden war, und hörte nun alle sagen, daß er der
schönste aller schönen Vögel sei. Selbst der
Flieder bog
sich mit den Zweigen gerade zu ihm in das Wasser hinunter, und die
Sonne schien so warm und so mild! Da brausten seine Federn, der
schlanke Hals hob sich, und aus vollem Herzen jubelte er:
»Soviel
Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch
das
häßliche Entlein war!«l