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Schneewittchen, das Lieblingsmärchen der Deutschen, bietet eine ganze Fülle von Symbolen und Metaphern, die auf unterschiedlichste Weise gedeutet werden können. Womit sich die Kinder sofort identifizieren, sind die sieben Zwerge. Sie leben wie Geschwister zusammen, bilden eine Gruppe von Nicht - Erwachsenen, und solidarisieren sich in ihrer Ohnmacht sofort mit dem schwachen Schneewittchen. Das Decken des Tisches und das Einnehmen der perönlichen Plätze entspricht dem, was Kinder lernen müssen.
Die "Beseelung" von Tieren oder Gegenständen, im Märchen von Schneewittchen ist dies der sprechende Spiegel, entspricht der kindlichen Vorstellungswelt. Der pädagogische Fachbegriff für dieses Phänomen heißt Anthropomorphismus (griech. anthropos: Mensch; morphe: Gestalt). Der kindgerechte Rahmen führt die Zuhörer zum eigentlichen Thema, den Folgen von menschlicher Eitelkeit und Überheblichkeit. Für den Ethikunterricht in der Grundschule sind Märchen ein geeignetes Medium. Die abstrakte Begriffswelt der Erwachsenen wird in ihnen übersetzt. In der Identifikation mit der Hauptperson tritt das Kind als Persönlichkeit hervor. Friedrich Schiller plädiert für diese Rückbesinnung auf das Individuum in seiner Schrift "Über die ästhetische Erziehung des Menschen":
"Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoss und, wenn es not tat, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser Teile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet. Auseinandergerissen wurde jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuss wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus; ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens." (Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. 6. Brief).
Es war einmal mitten im Winter, als die Schneeflocken wie Federn vom Himmel herabfielen. Da saß
eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem
Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und
nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger,
und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im
weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich:
Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie
Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen! Bald darauf bekam sie
ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot
wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum
Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind
geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm
sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine
schöne Frau, aber sie war stolz und
übermütig und konnte nicht leiden, daß sie
an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden.
Sie hatte einen wunderbaren Spiegel wenn sie vor den trat und sich
darin beschaute, sprach sie:
"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im
ganzen Land ? So antwortete der Spiegel: "Frau Königin, Ihr
seid die Schönste im Land."
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der
Spiegel die Wahrheit sagte. Schneewittchen aber wuchs heran und wurde
immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so
schön, wie der klare Tag und schöner als die
Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im
ganzen Land ?" So antwortete er: "Frau Königin, Ihr seid die
Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor
Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr
das Herz im Leibe herum. so haßte sie das Mädchen.
Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer
höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte.
Da rief sie einen Jäger und sprach: "Bring das Kind hinaus in
den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es
töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." Der
Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den
Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges
Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: "Ach, lieber
Jäger, laß mir mein Leben ! Ich will in den wilden
Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen." Und weil es gar so
schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: "So
lauf hin, du armes Kind !" Die wilden Tiere werden dich bald gefressen
haben, dachte er, und doch war's ihm, als wäre ein Stein von
seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten
brauchte. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam,
stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als
Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in
Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie
hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelenallein,
und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den
Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen
sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen
Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm
vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, so lange nur die
Füße noch fortkonnten, bis es bald Abend werden
wollte. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich
zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich
und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein
weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes
Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und
Gäblelein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben
Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken
darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und
durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig
Gemüs' und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen
Wein; denn es wollte nicht einem alles wegnehmen. Hernach, weil es so
müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins
paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich
das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und
schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem
Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach
Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an,
und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß
jemand darin gesessen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung,
wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: "Wer hat auf meinem
Stühlchen gesessen?' Der zweite: "Wer hat von meinem
Tellerchen gegessen ?" Der dritte: "Wer hat von meinem
Brötchen genommen ?" Der vierte: "Wer hat von meinem
Gemüschen gegessen ?" Der fünfte: "Wer hat mit meinem
Gäbelchen gestochen ?" Der sechste: "Wer hat mit meinem
Messerchen geschnitten ?" Der siebente: "Wer hat aus meinem Becherlein
Getrunken ?" Dann sah sich der erste um und sah, daß auf
seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er: "Wer hat in mein
Bettchen getreten ?" Die anderen kamen gelaufen und riefen: "In meinem
hat auch jemand Gelegen !" Der siebente aber, als er in sein Bett sah,
erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die
andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten
ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen. "Ei, du mein
Gott! Ei, du mein Gott!" riefen sie, "was ist das Kind so
schön !" Und hatten so große Freude, daß
sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen
ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen,
bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war,
erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es.
Sie waren aber freundlich und fragten: "Wie heißt du ?" "Ich
heiße Schneewittchen", antwortete es. "Wie bist du in unser
Haus gekommen ?" sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es
ihnen, daß seine Stiefmutter es hätte wollen
umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben
geschenkt, und da wär' es gelaufen den ganzen Tag, bis es
endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge
sprachen: "Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen,
nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und
reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an
nichts fehlen." "Jaa, sagte Schneewittchen, "von Herzen gern !" und
blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung. Morgens gingen sie
in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da
mußte ihr Essen bereit sein. Den ganzen Tag über war
das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und
sprachen: "Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald
wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein !
Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber
glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre
wieder die Erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und
sprach:
"Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist die Schönste im
ganzen Land?" Da antwortete der Spiegel: "Frau Königin, Ihr
seid die Schönste hier, aber Schneewittchen über den
Bergen, bei den sieben Zwergen, ist noch tausendmal schöner
als Ihr."
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel
keine Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger
sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Und da sann
und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie
nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der
Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte,
färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte
Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie
über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die
Türe und rief: "Schöne Ware feil ! feil!"
Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief: "Guten Tag, liebe
Frau ! Was habt Ihr zu verkaufen ?" "Gute Ware", antwortete sie,
"Schnürriemen von allen Farben", und holte einen hervor, der
aus bunter Seide geflochten war. Die ehrliche Frau kann ich
hereinlassen, dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und
kaufte sich den hübschen Schnürriemen. "Kind", sprach
die Alte, "wie du aussiehst ! Komm, ich will dich einmal ordentlich
schnüren." Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie
und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen
schnüren. Aber die Alte schnürte geschwind und
schnürte so fest, daß dem Schneewittchen der Atem
verging und es für tot hinfiel. "Nun bist du die
Schönste gewesen", sprach sie und eilte hinaus. Nicht lange
darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus; aber wie
erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen
sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot.
Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es
zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen
entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder
lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen
sie: "Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose
Königin. Hüte dich und laß keinen Menschen
herein, wenn wir nicht bei dir sind !" Das böse Weib aber, als
es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im
ganzen Land?" Da antwortete er wie sonst: "Frau Königin, Ihr
seid die Schönste hier, aber Schneewittchen über den
Bergen, bei den sieben Zwergen, ist noch tausendmal schöner
als Ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak
sie, 'denn sie sah wohl, daß Schneewittchen wieder lebendig
geworden war. "Nun aber", sprach sie", will ich etwas aussinnen, das
dich- zugrunde richten soll", und mit Hexenkünsten, die sie
verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und
nahm die Gestalt eines anderen alten Weibes an. So ging sie hin
über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die
Türe und rief: "Gute Ware feil ! feil !" Schneewittchen
schaute heraus und sprach: "Geht nur weiter, ich darf niemand
hereinlassen !" "Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein", sprach die
Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe.
Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich betören
ließ und die Türe öffnete. Als sie des
Kaufs einig waren, sprach die Alte: "Nun will ich dich einmal
ordentlich kämmen." Das arme Schneewittchen dachte an nichts,
ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm
in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das
Mädchen ohne Besinnung niederfiel. "Du Ausbund von
Schönheit", sprach das boshafte Weib, "jetzt ist's um dich
geschehen", und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend,
wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Schneewittchen wie tot
auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in
Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm. Und kaum hatten
sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und
erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal,
auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu
öffnen. Die Königin stellte sich daheim vor den
Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im
ganzen Land?" Da antwortete er wie vorher: "Frau Königin, Ihr
seid die Schönste hier, aber Schneewittchen über den
Bergen, bei den sieben Zwergen, ist noch tausendmal schöner
als Ihr."
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor
Zorn. ,Schneewittchen soll sterben", rief sie, "und wenn es mein
eigenes Leben kostet !" Darauf ging sie in eine ganz verborgene,
einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen,
giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus,
weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn
erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon
aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war,
färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine
Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den
sieben Zwergen. Sie klopfte an. Schneewittchen streckte den Kopf zum
Fenster heraus und sprach: " Ich darf keinen Menschen einlassen, die
sieben Zwerge haben mir's verboten !" "Mir auch recht", antwortete die
Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, e
i n e n will ich dir schenken." "Nein", sprach Schneewittchen, "ich
darf nichts annehmen !" "Fürchtest du dich vor Gift ?" sprach
die Alte, "siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den
roten Backen iß, den weißen will ich essen " Der
Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote
Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den
schönen Apfel an, und als es sah, daß die
Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger
widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige
Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel
es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit
grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach:
"Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz !
Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken." Und als
sie daheim den Spiegel befragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?" So antwortete er
endlich: "Frau Königin, Ihr seid de Schönste im
Land."
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe
haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach Haus kamen, fanden Schneewittchen
auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es
war tot. Sie hoben es auf suchten, ob sie was Giftiges fänden,
schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es
mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war tot
und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle
siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten
sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch
und hatte noch seine schönen, roten Backen. Sie sprachen: "Das
können wir nicht in die schwarze Erde versenken", und
ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen,
daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein
und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und
daß es eine Königstochter wäre. Dann
setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb
immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten
Schneewittchen, erst eine Eule dann ein Rabe. zuletzt ein
Täubchen. Nun lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg
und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war
noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig
wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in
den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten.
Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen
darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da
sprach er zu den Zwergen: "Laßt mir den Sarg, ich will euch
geben, was ihr dafür haben wollt " Aber die Zwerge
antworteten: "Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt."
Da sprach er: "So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne
Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein
Liebstes." Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleid mit
ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn
nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es,
daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem
Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den
Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so
öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die
Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. "Ach Gott,
wo bin ich ?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: "Du
bist bei mir", und erzählte, was sich zugetragen hatte, und
sprach: "Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in
meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden." Da
war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit
großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Feste wurde
aber auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich
nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den
Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im
ganzen Land ?" Der Spiegel antwortete: "Frau Königin, Ihr seid
die Schönste hier, aber die junge Königin ist noch
tausendmal schöner
als ihr."
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr
so angst, so angst, daß sie sich nicht zu lassen
wußte. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen,
doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die
junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie
Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte
sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über
Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie
hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe
treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.