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"Der Reichste an Lebensfülle, der dionysische Gott und Mensch,
kann sich nicht nur den Anblick des Fürchterlichen und
Fragwürdigen gönnen, sondern selbst die
fürchterliche That und jeden Luxus von Zerstörung,
Zersetzung, Verneinung; bei ihm erscheint das Böse, Unsinnige
und Hässliche gleichsam erlaubt, in Folge eines Ueberschusses
von zeugenden, befruchtenden Kräften, welcher aus jeder
Wüste noch ein üppiges Fruchtland zu schaffen im
Stande ist. Umgekehrt würde der Leidenste,
Lebensärmste am meistendie Milde, Friedlichkeit, Güte
nöthig haben, im Denken und im Handeln, womöglich
einen Gott, der ganz eigentlich ein Gott für Kranke ein
'Heiland' wäre; ebenso auch die Logik, die begriffliche
Verständlichkeit des Daseins - denn die Logik beruhigt, giebt
vertrauen -, kurz eine gewisse warme, furchtabwehrende Enge und
Einschließung in optimistische Horizonte. Dergestalt lernte
ich allmählich Epikur begreifen..."
Zitat aus: Die fröhliche Wissenschaft, Fünftes Buch
370 (1882).
Nietzsches radikale, polemische
Gegenüberstellung des Starken,
Gewälttätigen und Lebensfreudigen auf der
einen und des Schwachen, Friedfertigen und Lebensarmen auf der anderen
Seite beschreibt die epikureische Maxime des zurückhaltenden
Strebens nach der Meersruhe der Seele durchaus zutreffend.
Nietzsche beschuldigte Epikur ebenso wie Sokrates und das Christentum,
dem Menschen durch Erziehung und Vernunft zu einer "zweiten Natur"
verholfen zu haben. Epikur hätte den
Übergang des
Menschen von der ursprünglichen "wilden" und zweiten "zahmen"
Natur wohl als Ziel seiner Philosophie gut geheißen.
Nietzsches herausfordernde, pathetische Überhöhung
von
Gewalt, Exzess und Maßlosigkeit endete schließlich
im
Gegenteil der geistigen Umnachtung. Seine letzten Lebensjahre
nach
dem Zusammenbruch von 1889 in Turin verbrachte er nicht nur im
selbstquälerischen Wahn, sondern auch in Apathie. Letzterer
Zustand, im Deutschen am besten mit Leidenschaftslosigkeit
übersetzt, ist in der epikureischen wie in der stoischen
Schule
keine Krankheit, sondern eine Medizin gegen die Unruhe der Seele.
Die Rezeption Epikurs erreicht einen neuzeitlichen Höhepunkt bei David Hume (1711 - 1776). Obgleich schottischer Herkunft gilt er als der bedeutendste Philosoph der englischen Aufklärung. Hume ist wie Epikur nicht nur skeptisch gegenüber metaphysischen Weltdeutungen, er misstraut prinzipiell jeder philosophisch begründeten Moral. Nach Hume beruht der respektvolle Umgang unter Menschen nicht auf einem philosophischen Erkenntnisprozess, sondern ist das Ergebnis einer gelebten Kultivierung. Eine Renaissance erlebt Hume im 20. Jahrhundert durch den amerikanischen Philosophen Richard Rorty (1931 - 2007). Die Ausprägung der modernen Kultur der Menschenrechte führt Rorty auf zwei Faktoren zurück: Den gestiegenen Wohlstand und die durch Erziehung, Bildung und Medien gewachsene Möglichkeit, die Gefühle der Menschen in anderen Ländern zu verstehen und mit ihnen sympathisch zu werden. Hier zeigt sich eine Kontinuität von der Schule des Gartens des 3. vorchristlichen Jahrhunderts bis in unsere Zeit. Denn Sympathie und Freundschaft zwischen den Schülerinnen und Schülern stehen am Beginn der epikureischen Lebensgemeinschaft.