LITERATUR
TEIL 1

VON 4
Heinrich Heine (1): Die Folgen der Französischen Revolution
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Heinrich Heine - ein Mensch voller Widersprüche?

Heinrich Heine
Heinrich Heine und seine Zeit

"Wer sich bloß an das Wort hält, dem wird es leicht werden, in meinen Berichten eine Menge von Widersprüchen und Leichtsinnigkeiten oder gar einen Mangel an ehrlichem Wollen herauszuklauben; wer aber den Gesit meiner Mitteilungen auffaßt, wird die strengste Einheit der Ansichten, eine unwandlebare Liebe für die Sache der Menschheit und ein Beharren in meinen demokratischen Grundsätzen, überall erblicken."
(Heinrich Heine: Lutetia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben, 1855)

In diesem Rückblick, ein Jahr vor seinem Tode verfasst, nimmt Heine schon vieles vorweg, was nach seinem Tode über ihn gesagt und ihn hineininterpretiert werden sollte. Bis in unsere Tage hinein bleibt der scharfzüngige Literat, Lyriker, Künstler, Journalist und Spötter ein Stein des Anstoßes, und so verwundert es nicht, dass über ein Denkmal für die Düsseldorfer Universität, die seit 1988 seinen Namen trägt, ein heftiger Streit entbrannte. Bis 1994 hat es gedauert, ehe der große Sohn der Stadt einen verdienten Platz erhielt.

Heine und seine Zeit

Heines Werk ist stark von den turbulenten Ereignissen seiner Zeit geprägt. Die Auswirkungen der Französischen Revolution sind für die jüdische Familie ein Segen. Rechtliche Gleichheit und persönliche Freiheiten - endlich glaubt man aus der Enge in Europa befreit zu sein. Gleichwohl nimmt Heine die vielen Widersprüchlichkeiten zur Erlangung dieser Rechte wahr. Denn schließlich war es Napoleon, der die Errungenschaften nach Deutschland trug, ein aufgeklärter Herrscher und ein brutaler Militärmachthaber in einer Person. Heines Begeisterung gilt nicht dem Charakter Napoleons, wohl aber seinem Geist:
"Unbedingt liebe ich ihn nur bis zum 18. Brumaire - da verriet er die Freiheit. Und er tat es nicht aus Notwendigkeit, sondern aus geheimer Vorliebe für den Aristokratismus. Napoleon war ein Aristokrat, ein adeliger Feind der bürgerlichen Geleichheit"
(Heinrich Heine: Reisebilder, 1830)

Der Beginn seines literarischen Schaffens

Der Weg zum literarischen Schaffen war für Heine keineswegs vorgezeichnet. Zunächst beginnt er eine kaufmännische Lehre in Frankfurt am Main, die er in Hamburg fortsetzt. Mit der Unterstützung seines Onkels eröffnet er in Hamburg ein Tuchgeschäft, in dem er vor allem englische Manufakturware verkauft. Das Unternehmen scheitert schließlich und nur mit Hilfe seines Onkels immatrikuliert sich Heinrich zum Jurastudium an der Universität Bonn. Dabei hört der vielseitig interessierte auch Vorlesungen bei Aufust Wilhelm Schlegel und Moritz Arndt. Als literarische Erstveröffentlichung gilt sein kurzer Aufsatz "Die Romatik" veröffentlicht im "Rheinisch-westphälischen Anzeiger. Kunst und Wissenschaftsblatt" von 1820, Nr. 31 am 18. August 1820 - davon ein Auszug:

Heinrich Heine: Die Romantik (Auszug)

Das Verhältnis zwischen Heine und der Nationalbewegung

Heine untertützt zwar die nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon aufkeimende Nationalbewegung, ist aber immun gegen die Auswüchse der nationalistischen Begeisterungsstürme. Der Turnbewegung von "Turnvater Jahn" steht er ebenso reserviert gegenüber wie dem Wartburgfest von 1817. Seine distanzierte Haltung verstärkt sich zudem durch die gegen die Juden gerichteten  Hep-Hep-Verfolgungen von 1819. 
Nach der Veröffentlichung seines Aufsatzes über die Romantik wechselt Heine an die Universität Göttingen.
Dort beteiligt er sich zunächst an Versammlungen der Burschenschaften, wird dann aber als Jude ausgeschlossen.

Nach einem Duell im Januar 1821 erhält er in Göttingen ein Semester Studienverbot und wechselt nach Berlin, wo er Hegel hört. 1822 wird Heine Mitglied im "Verein für Kultur und Wissenschaften der Juden".
1823 bringt er einen Gedichtband mit dem Titel "Tragödien, nebst einem Lyrischen Intermezzo" heraus. Er enthält eine scharfsinnige Bemerkung, die auf die Bücherverbrennung während des Wartburgfestes anspielt:
"Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen".

Ich will daher mit wenigen Worten, ohne polemische Ausfälle, und ganz unbefangen, meine subjektiven Ansichten über Romantik und romantische Form hier mitteilen.

Im Altertum, das heißt eigentlich bei Griechen und Römern, war die Sinnlichkeit vorherrschend. Die Menschen lebten meins in äußern Anschauungen, und ihre Poesie hatte vorzugsweise das Äußere, das Objektive, zum Zweck und zugleich zum Mittel der Verherrlichung. Als aber ein schöneres und milderes Licht im Orient aufleuchtete, als die Menschen anfingen zu ahnen, daß es noch etwas Besseres gibt als Sinnenrausch, als die unüberschwenglich beseligende Idee des Christentums, die Liebe, die Gemüter zu durchschauern begann: da wollten auch die Menschen diese geheimen Schauer, diese unendliche Wehmut und zugleich unendliche Wollust mit Worten ausspreche, und besingen. Vergebens suchte man nun durch die alten Bilder und Worte die neuen Gefühle zu bezeichnen. Es mußten jetzt neue Bilder und neue Worte erdacht werden, und just solche, die, durch eine geheime, sympathetische Verwandtschaft mit jenen neuen Gefühlen, diese letztern zu jeder Zeit im Gemüte erwecken und gleichsam heraufbeschwören konnten.

So entstand die sogenannte romantische Poesie, die in ihrem schönsten Lichte im Mittelalter aufblühete, späterhin vom kalten Hauch der Kriegs- und Glaubensstürme traurig dahinwelkte, und in neuerer Zeit wieder lieblich aus dem deutschen Boden aufsproßte und ihre herrlichsten Blumen entfaltete. Es ist wahr, die Bilder der Romantik sollten mehr erwecken als bezeichnen. Aber nie und nimmermehr ist dasjenige die wahre Romantik, was so viele dafür ausgeben; nämlich: ein Gemengsel von spanischem Schmelz, schottischen Nebeln und italienischem Geklinge, verworrene und verschwimmende Bilder, die gleichsam aus einer Zauberlaterne ausgegossen werden, und durch buntes Farbenspiel und frappante Beleuchtung seltsam das Gemüt erregen und ergötzen. Wahrlich, die Bilder, wodurch jene romantischen Gefühle erregt werden sollen, dürfen ebenso klar und und mit ebenso bestimmten Umrissen gezeichnet sein, als die Bilder der plastischen Poesie. Diese romantischen Bilder sollen an und für sich schon ergötzlich sein; sie sind die kostbaren, goldenen Schlüssel, womit, wie alte Märchen sagen, die hübschen, verzauberten Feengärten aufgeschlossen werden.

Johann Wolfgang Goethe
Heinrich Heine
Napoleon Bonaparte

So kommt es, daß unsre zwei größten Romantiker, Goethe und A. W. v. Schlegel, zu gleicher Zeit auch unsre größten Plastiker sind. In Goethes "Faust" und Liedern sind dieselben reinen Umrisse wie in der "Iphigenie", in "Hermann und Dorothea", in den Elegien usw.; und in den romantischen Dichtungen Schlegels sind dieselben sicher und bestimmt gezeichneten Konturen, wie in dessen wahrhaft plastischen "Rom". Oh, möchten dies doch endlich diejenigen beherzigen, die sich so gern Schlegelianer nennen. - Viele aber, die bemerkt haben, welchen ungeheuren Einfluß das Christentum, und in dessen Folge das Rittertum, auf die romantische Poesie ausgeübt haben, vermeinen nun beides in ihren Dichtungen einmischen zu müssen, um denselben den Charakter der Romantik aufzudrücken. Doch glaube ich, Christentum und Rittertum waren nur Mittel, um der Romantik Eingang zu verschaffen; die Flamme derselben leuchtet schon längst auf dem Altar unserer Poesie; kein Priester braucht noch geweihtes Öl hinzuzugießen, und kein Ritter braucht mehr bei ihr die Waffenwacht zu halten. Deutschland ist jetzt frei; kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adeliger Herrscherling vermag mehr die deutschen Leiber zur Fron zu peitschen, und deshalb soll auch die deutsche Muse wieder ein freies, blühendes, unaffektiertes, ehrlich deutsches Mädchen sein, und kein schmachtendes Nönnchen, und kein ahnenstolzes Ritterfräulein. Möchten doch viele diese Ansicht teilen! dann gäbe es bald keinen Streit mehr zwischen Romantikern und Plastikern. Doch mancher Lorbeer muß welken, ehe wieder das Ölblatt auf unserm Parnassus hervorgrünt. (Heinrich Heine in: Rheinisch-westphälischen Anzeiger. Kunst und Wissenschaftsblatt, Nr. 31 vom 18. August 1820)

Morgen bei aphilia: Die Loreley