LITERATUR
Teil 1

von 3
Die Frühromantik: Die blaue Blume
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Der Aufbruch im Zeichen der blauen Blume

Die romantische Bewegung beginnt im ausgehenden 18. Jahrhundert. Sie reift parallel mit der Aufklärung, dem Nützlichkeitsstreben und der beginnenden Industrialisierung. Ihr Markenzeichen ist die blaue Blume, entnommen aus dem Beginn des unvollendet gebiebenen Bildungsromans "Heinrich von Ofterdingen" des jungen Autoren Friedrich von Hardenberg, der sich den Künstlernamen Novalis aneignete: 

"Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren einförmigen Takt, vor den klappernden Fenstern sauste der Wind; abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes. Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager, und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. 'Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben', sagte er zu sich selbst; 'fern ab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und denken. So ist mir noch nie zumute gewesen: es ist, als hätt ich vorhin geträumt, oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert; denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen bekümmert, und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume hab' ich damals nie gehört."

Das Verhältnis zur Klassik


Johann Wolfgang Goethe
Novalis Heinrich Wackenroder

Die Klassiker waren davon überzeugt, dass der Mensch dazu in der Lage sei, mittels seiner eigenen Kräfte zum "Schönen, Guten und Wahren" zu finden. Sie schrieben idealistische Werke, in denen der Held trotz vieler Proben und notwendiger Läuterungen  schließlich zur Harmonie gelangte. Diesen Optimismus wollte die Romantiker in Frage stellen. Ihr Glauben an die Machbarkeit, die Berechenbarkeit und die Bildung war getrübt vom Gefühl, der Natur und der Welt hilflos ausgesetzt zu sein. Der Dichterfürst Goethe hatte ein gespaltenes Verhältnis zur Romantik. Einerseits lehnte er sie ab, andereseits hatte er mit den "Leiden des jungen Werther" ein durch und durch romantische Werk verfasst, das den Weltschmerz seiner Zeit wie kein zweites widerspiegelte und unter jungen Menschen zu einer Selbstmordwelle führte.

Die Romantik als Lebensgefühl

Die Romantik und die 1968iger

Das Verhältnis der 68er Studenten zu den Romantikern war äußerst problematisch. Denn die Protestierer des 20.Jahrhunderts wollten nicht in Innerlichkeiten versinken, sondern die bestehenden politischen Verhältnisse ändern. Konsequenterweise forderten sie in einem ein Kehrvers die Politisierung der Germanistik: "Schlagt die blaue Blume tot, macht die Germanistik rot!"

Die romantische Welle ging nicht nur von den Literaten aus, sondern umfasste alle Bereich der Kunst. Maler wie Caspar David Friedrich, Philosophen wie Schelling und Musiker wie Schubert bildeten die Grundlage für eine kurze Phase der Hingabe an den Augenblick, das Irrationale und den Traum versunkener Reiche.
Ein wichtiges Ausdrucksmittel der schreibenden Zunft war der Roman in einer sehr fluiden Form. Er bot Platz für Geheimnisvolles, Wunderbares, Schauderhaftes und  Fragmentarisches zugleich. Die Gattungen vermischten sich. Für Lieder, für Sprüche und für Szenen und Skizzen bot der romantische Roman  gleichermaßen Platz.
So wie die Welt letztlich unerschließlich ist, vermittelte auch er nur Inseln, Offenheiten und Perspektiven. Durch die geschickte Kombination der Techniken gelangt der Leser in einer Atmosphäre der aufgehobenen Gegensätzlichkeiten.

Morgen bei aphilia: Der Jenaer Kreis