LITERATUR
TEIL 3

VON 4
Heinrich Heine (3): Das Weberlied
Lektion 1 | Lektion 2 | Lektion 3 | Lektion 4

Das Lied von den schlesischen Webern

Heinrich Heine
Heinrich Heine und seine Zeit

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpresst,
Und uns wie Hunde erschiessen lässt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!

Das Schifflein fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Aufbau und Botschaft

Die fünfzeiligen Strophen sind nach dem Reimschema AABBC aufgebaut. Die Einleitung verweist auf die drei folgenden Strophen gegen Gott, König und Vaterland. Die letzte Strophe knüpft wieder an die erste an. Hintergrund des Gedichtes sind die sich im Zuge der industriellen Revolution verschlechternden Lebensbedingungen der Weber in Schlesien. Die Fabriken führen zu immer schlechteren Arbeitsbedingungenbedingungen und viele Weber, die in Heimarbeit tätig sind, verlieren ihre materielle Grundlage. Die jeweils letzte Zeile wir weben drückt ebenso Hoffnung wie Verzweiflung aus. Die Weber fühlen sich im Stich gelassen. 

Der schlesische Weberaufstand von 1844

Heines politische Betätigung

Heine begeisterte sich für einen Frühsozialismus, der in Anlehnung an die Ideen des  französischen intellektuellen Henri de Saint-Simon als Saint-Simonismus bekannt wurde. Die Saint-Simonisten forderten eine Gesellschaftsform, an deren Spitze eine Persönlichkeit stehen sollte, die gleichermaßen Gemeinwohl und Fortschritt verpflichtet war. Gleichzeitig hatte Heine auch mit Karl Marx und Ferdinand Lasalle Kontakt. Marx war von Saint-Simon zwar inspiriert, schuf aber bald seine eigene, radikalere ökonomische Theorie. Saint-Simon hingegen wird später auch von der katholischen Soziallehre adaptierte. 
Das Weberlied erscheint am 10. Juni 1844 in der von Karl Marx in Paris herausgegebenen Zeitschrift Vorwärts. Die preußische Regierung, Zielscheibe der Kritik des Vorwärts, interveniert schließlich in Paris und erreicht eine Ausweisung von Marx im Jahre 1845. Der Vorwärts wird daraufhin eingestellt. Das Weberlied wurde zum Propagandamittel und im Aufstandsgebiet mit Flugblättern verteilt. Seine Schöpfer Heine hat sich vom Kommunismus aber stets distanziert.

Weberaufstände hatte es in der frühindustriellen Zeit schon öfters gegeben, z. B. 1928 in Krefeld, aber der schlesische Aufstand entwickelte eine eigene Dynamik und wurde so zum Symbol der Arbeiterbewegung.
Für die Verelendung der Weber spielen die Folgen des technischen Fortschritts die entscheidende Rolle: Die Weber arbeiteten in Deutschland in der Regel am heimischen Webstuhl. Bedingt durch die Einführung des mechanischen Webstuhls in England kommen aber nun immer billigere Produkte ins Land. Die deutschen Produzenten versuchen zunächst, den Preisverfall durch Kinderarbeit und  längere Arbeitszeit zu kompensieren, aber die zusätzlichen Anstrengungen können den Preisverfall nicht ausgleichen. Die fertigen Tuche, die von Großhändlern, damals Verleger genannt, abgenommen wurden, ernähren die Familien nicht mehr. Der Zorn richtet sich im niederschlesischen Peterswaldau gegen die Gebrüder Zwanziger, zu deren Anwesen sich am 4. Juni 1844 ein Protestzug formiert. 

Heinrich Heine
Joseph-Marie Jacquard
Karl Marx

Nach dem Ablehnen von Verhandlungen seitens der Gebrüder Zwanziger wird ihr Haus gestürmt, und Firmenbücher und Maschinen vernichtet. Am nächsten Tag haben die Aufrührer eine Fabrik in Langenbielau im Visier, die aber noch relativ rentabel wirtschaftet. Die Arbeiter verteidigen ihre Maschinen gegen die wütende Menge. Dennoch gab es einen beträchtlichen Schaden in der Fabrik und den dort gelagerten Waren. Schließlich wird das preußische Militär zu Hilfe gerufen, doch der Einsatz misslingt. Als zur Beruhigung der Menge vor dem Haus des Fabrikbesitzers Geld und Nahrungsmittel verteilt werden und die Menschen zusammenströmen, schätzt der Befehlshaber die Situation völlig falsch ein.

Als er in die Menge schießen lässt, richtet er ein Blutbad an, bei dem 11 Menschen sterben und viele schwer verwundet werden. Die Einheiten weichen anschließend zurück und fordern Verstärkungstruppen. In der Nacht zum 6. Juni rücken weitere Soldaten an und schlagen den Aufstand endgültig nieder. Ungefähr 100 Weber werden festgenommen und zu Zuchthaus, Festungshaft und Peitschenhieben verurteilt. Manche der Verurteilten fassen ihr Schicksal mit Ironie, müssen sie doch im Gefängnis wenigstens keinen Hunger erleiden.

Morgen bei aphilia: Die Matratzengruft