Die Psychoanalyse

Die Psychologie steht mit der Psychoanalyse auf Kriegsfuß. Sie bestreitet ihre Wissenschaftlichkeit. Psychoanalyse sei nicht falsifizierbar, nicht in Zahlen zu messen.

Sigmund Freud – Vater der Psychoanalyse

Dennoch hat die Psychoanalyse die Psychologie beeinflusst und einige Erkenntnisse gebracht die heute noch gültig sind. Mit Sigmund Freud hat sie einen Protagonisten, der nicht nur durch seine ungewöhnlichen Denkansätze, sondern mindestens eben so sehr durch Witz, Ironie und kritische Selbstdistanz besticht.

Die frühen Jahre des „Vaters der Psychoanalyse“ in Wien

Geboren 1856 in Mähren, zieht Freuds Familie 1860 nach Wien. Dort entschließt er sich zu einem Medizinstudium, während dessen er unter anderem die Geschlechtsdrüsen der Aale erforscht. Dieser wunderbaren Thematik widmet sich auch seine erste Publikation. Neben der Medizin begeistert er sich für die Philosophie, insbesondere für den englischen Philosophen John Stuart Mill. 1879 übersetzt er den letzten Band der Gesamtausgabe dieses Utilitaristen. 1881, in seinem 35. Lebensjahr promoviert er zum „Doktor der gesamten Heilkunde“.

Freud, Breuer und „Anna O.“: Geburt der Psychoanalyse

In einer Selbstdarstellung aus dem Jahr 1925 schreibt Freud über seine Studentenzeit:

„Vor allem traf mich die Zumutung, dass ich mich als minderwertig und nicht volkszugehörig fühlen sollte, weil ich Jude war. … Aber eine für später wichtige Folge dieser ersten Eindrücke von der Universität war, dass ich so frühzeitig mit dem Los vertraut wurde, in der Opposition zu stehen und von der „kompakten Majorität“ in Bann getan zu werden. Eine gewisse Unabhängigkeit des Urteils wurde so vorbereitet.“

Sigmund Freud

Während eines Verpflichtung als Krankenhausarzt in Paris erwacht Freuds Interesse an der Erforschung der sogenanten Hysterie. Zurück in Wien stößt er mit seinen Betrachtungen allerdings auf Unverständnis und Feindseligkeit. Freud ist nämlich der Meinung dass diese auch Männer befallen kann, was ihm die Herren Kollegen bitter verübeln.

Etwa um diese Zeit behandelt der Wiener Arzt Josef Breuer die hysterische Patientin „Anna O.“. Er findet heraus dass die Symptome der Patientin verschwinden nachdem sie über die Erinnerungen, die mit diesen Symptomen zusammenhängen, gesprochen hat. Anna verliebt sich in ihren Therapeuten, der daraufhin mit seiner Frau die Flucht nach Venedig ergreift. Ein Problem, das aus dem besonderen Beziehungsaspekt bei dieser Behandlungsform erwächst.

Bertha Pappenheim
alias "Anna O.",
1882
Bertha Pappenheim
alias „Anna O.“,
1882

Breuer diskutiert diesen Fall mit seinem jüngeren Kollegen Freud. Dieser schließt daraus, dass die Ursachen für die Symptome im „Unbewussten“ liegen müssen und entwickelt die Technik der „freien Assoziation“, um seine eigenen Patienten damit zu behandeln. Seine Erkenntnis über die Bedeutung des Unbewussten kann man als ersten zarten Spross der Psychoanalyse bezeichnen. Der Meilenstein, den man heute oft als offiziellen „Startschuss“ für die Psychoanalyse ansieht, ist die Veröffentlichung seines Werkes „Die Traumdeutung“ 1899.

Freuds Theorien und sein Einfluss auf die Nachwelt

Freud stirbt nach langem Krebsleiden am 23.09.1939 in London. Ob Ödipuskomplex, Freudscher Versprecher, Traumdeutung, Todestrieb oder das Drei-Instanzen-Modelll des „Ich, Über-Ich und Es“: von den Theorien Sigmund Freuds hat jeder schon einmal gehört, auch wenn nur wenige wissen worum es dabei im Einzelnen geht. Einigen dieser Bausteine der Psychoanalyse werden wir im weiteren Verlauf des Kurses wieder begegnen.

Viele der Freudschen Theorien sind mittlerweile überholt, widerlegt oder wenigstens umstritten. Als Therapieform wird die Psychoanalyse noch immer praktiziert, obwohl sie wegen ihrer Langwierigkeit nicht gerade dem Zeitgeist entspricht. In Frankreich steht man ihr aufgeschlossener gegenüber als in Deutschland, da die Franzosen in Lacan einen exponierten modernen Vertreter dieser Gattung verehren.

Psychoanalyse als Therapie

Die Psychoanalyse ist nicht nur Wissenschaft und eine Methode zur Untersuchung geistiger und kultureller Phänomene, sie bietet auch eine Form der Therapie für Menschen mit psychischen Problemen.

Das vielleicht bekannteste Bild, das viele Menschen mit dem Begriff „Psychotherapie“ verbinden, stammt in Wirklichkeit aus der Psychoanalyse: die berühmte Couch, auf welcher liegend der Patient seinen Gedanken freien Lauf lässt, während der Analytiker am Kopfende zigarrerauchend in einem schweren, ledernen Ohrensessel sitzt.

Wie die psychoanalytische Therapie funktioniert

Die psychoanalytische Therapie ist eine Einsichtstherapie. Sie geht davon aus, dass durch die Einsicht des Patienten in die Ursachen seines Leidens die Symptome verschwinden und der Leidensdruck gemindert wird. In der klassischen Psychoanalyse sieht es tatsächlich so aus wie oben beschrieben: der Patient liegt auf der Couch, während der Analytiker am Kopfende sitzt und dem Patienten mit einer „Haltung gleichschwebender Aufmerksamkeit“ zuhört, wie dieser seinen Gedanken freien Lauf lässt. Dabei deutet der Analytiker die Assoziationen des Patienten, wodurch dieser Einsicht in die Gründe von unbewussten Verhaltensweisen erlangt und sich dadurch davon befreit.

Langfristig wird der Analytiker zu einer „inneren Stimme“ des Patienten, die die frühere, autoritär verbietende, ungeduldige, uninteressierte innere Bezugsperson ersetzt und so ein bewusstes, von Zwängen befreites Leben ermöglicht. Hieraus wird auch ersichtlich dass die Beziehung zwischen Analytiker und Analysand tiefer und vertrauter sein muss als gewöhnliche Arzt-Patient Beziehungen. Schließlich muss der Patient alles sagen können, was ihm gerade in den Sinn kommt, und sei es auch noch so peinlich oder unangenehm.

Verschiedene Formen psychoanalytischer Therapie

Die klassische Psychoanalyse erfordert einen hohen Zeitaufwand. Es finden – über mehrere Jahre hinweg – wöchentlich 3 bis 4 Sitzungen statt bis der Patient als „geheilt“ entlassen wird. Verständlich, denn einerseits wird hier nach Gründen gesucht und nicht nur an Symptomen herumgedoktert, während andererseits das Vertrauen zwischen Therapeut und Patient erst langsam so weit wachsen muss dass wirklich eine vollständige Öffnung des Patienten möglich wird. Ein anderes Therapiemodell stellt die psychoanalytische Psychotherapie dar. Hier sitzen sich Analytiker und Analysand gegenüber und treffen sich lediglich 1 bis 2 mal wöchentlich. Die psychoanalytische Fokaltherapie (auch psychodynamische Kurzzeittherapie genannt) behandelt ein klar umrissenes Problem innerhalb von 20 bis 30 Sitzungen. Darüber hinaus gibt es auch psychoanalytische Gruppen- und Familientherapien, und – nicht zu vergessen – die Selbstanalyse, die jeder Psychoanalytiker während seiner Ausbildung zu durchlaufen hat.

Psychoanalyse vs. Psychotherapie

Die lange Dauer einer klassischen Psychoanalyse bedingt entsprechend hohe Kosten. Um die Krankenkasse dennoch zur Kostenübernahme zu bewegen kann es helfen, die Langzeitwirkung einer Analyse mit der Langzeitwirkung einer Psychotherapie zu vergleichen. Die Analyse geht den Ursachen auf den Grund, während z. B. eine kognitive Verhaltenstherapie eher konditionierend wirkt, also nur die Symptome behandelt. Dadurch kann die Psychoanalyse eine langfristige Änderung im Bewusstsein des Patienten bewirken, während die Erfolge von Psychotherapien oft eher kurzfristiger Natur sind.

Die drei Instanzen der Psychoanalyse

Das „Ich“, das „Es“ und das „Über-Ich“: diese drei Instanzen, auch als „Strukturmodell“ bekannt, repräsentieren nach Freud Bewusstsein, Triebe und Unbewusstes sowie das Gewissen.

Freuds Ziel bestand darin, die komplexe Struktur der menschlichen Psyche modellhaft abzubilden. Von diesen drei Instanzen befand Freud das „Es“ als die gewichtigste, da er 70% der menschlichen Entscheidungen als unbewusst oder triebhaft gesteuert ansah!

Das „Es“

Das „Es“ ist diejenige Strukturinstanz, welche als Erste entsteht. Es repräsentiert grundlegende Triebe wie Nahrungsaufnahme oder das Bedürfnis nach Wärme und Hautkontakt. Je nachdem wie die Befriedigung dieser Triebe erlebt wird (verbunden mit Lust- oder Unlustgefühlen) entstehen daraus Bedürfnisse und Affekte. Bedürfnisse können zum Beispiel das Geltungsbedürfnis oder ein Angenommenseinsbedürfnis sein, während mit Affekten Emotionen wie Liebe, Hass, Neid oder Vertrauen gemeint sind.

Das „Über-Ich“

Das „Über-Ich“ wird oft als „das Gewissen“ des Menschen wahrgenommen. Durch erzieherische Tätigkeiten werden im Kind bestimmte Normen, Werte, Welt- und / oder Gottesbilder verinnerlicht. Diese Verinnerlichung moralischer Vorstellungen erfolgt beim Kind etwa in dem Alter, in dem es als schulreif gilt. Es geht hierbei nicht nur darum was man tun soll und was nicht, sondern auch um Rollenbilder, also darum wie man zu sein hat! Durch die Bildung des „Über-Ich“ wird das direkte Eingreifen der Eltern als Erzieher nicht mehr in jedem Fall nötig, die Kinder haben gelernt wie sie in sozialer Hinsicht funktionieren sollen. Ein Mensch mit einem zu stark ausgeprägten „Über-ich“ leidet ständig an unter der Vorstellung, in moralischer Hinsicht versagt zu haben. 

Das „Ich“

Das „Ich“ ist der rationale Vermittler zwischen „Es“, „Über-Ich“ und sozialer Umwelt. Dazu überprüft es selbstkritisch die Ansprüche dieser drei Entitäten, indem es Bewusstseinsinhalte aus Denken, Wahrnehmung und Gedächtnis als realistischen Maßstab heranzieht. Auch gesellschaftliche Normen und Werte dienen dem „Ich“ zur Beurteilung der Realität. Man kann sagen dass die Aufgabe des „Ich“ darin besteht, auf rational-konstruktive Weise soziale und psychische Konflikte zu lösen.

Psychoanalyse im Film

“ … Das Denken in Bildern ist … nur ein sehr unvollkommenes Bewusstwerden. Es steht auch irgendwie den unbewussten Vorstellungen näher als das Denken in Worten und ist unzweifelhaft onto- wie phylogenetisch (=entwicklungsgeschichtlich, der Autor) älter als dieses.“

Sigmund Freud: „Das Ich und das Es“, 1923

1895 veröffentlichte Freud zusammen mit Breuer „Studien zur Hysterie“ und begründete damit die Psychoanalyse, während die Brüder Lumière zeitgleich in Paris die erste Kinovorführung veranstalteten.

Freud weigerte sich zeitlebens an einem Filmprojekt zum Thema Psychoanalyse mitzuarbeiten. Dabei sind Filme eng mit Träumen verwandt, die ja in Freuds Theorie eine Schlüsselrolle spielen! Bei beiden ist der Rezipient dem Geschehen auf der Leinwand oder im Unbewussten passiv ausgeliefert, empfängt flüchtige Bilder, assoziiert diese zu Szenen und Geschichten und befindet sich im dunklen Kinosaal in einem ähnlichem Dämmerzustand wie im Traum.

Aus der Sicht eines Filmemachers geht es letzten Endes darum, eine bestimmte Wirkung auf den Zuschauer zu erzielen. Sei es um ihn zu unterhalten, oder ihn zum Nachdenken anzuregen. Dazu bedient er sich oft einer Geschichte, die er in Bildern und Tönen erzählt. Aber auch die Bilder an sich wirken, ähnlich wie Traumbilder den Schläfer beeinflussen. Experimentelle Regisseure haben ihre Filme oft auf dieser Erkenntnis aufgebaut.

L’Age d’Or

Luis Buñuel: "L'Age d'Or",
1938.
Luis Buñuel: „L’Age d’Or“,
1938.

1930 drehte der spanische Regisseur Luis Buñuel in Frankreich den Film „L’Age d’Or“, zu deutsch „Das Goldene Zeitalter“. Der Surrealist Buñuel bediente sich konsequent der Macht assoziativer Bilder, auch wenn der Film Ansätze einer konventionellen Liebesgeschichte zu erzählen scheint. Radikal und kritisch entlarvt der Regisseur autoritäre Strukturen, prangert mit provozierenden Bildern religiöse Dogmen und Heuchelei an. Der Film selbst wurde verboten und darf in Frankreich erst seit 1981, nach 50 Jahren, wieder gezeigt werden!

Nosferatu, eine Symphonie des Grauens

Max Schreck als Graf Orlok.
F. W. Murnau: Nosferatu, 1922.
Max Schreck als Graf Orlok.
F. W. Murnau: Nosferatu, 1922.

Nachdem sich die Psychoanalyse mit den Urtrieben und -ängsten des Menschen beschäftigt, wundert es nicht, dass auch von der Psychoanalyse beeinflusste Filme sich oft mit eher düsteren Aspekten der menschlichen Natur beschäftigen. Ähnlich den Surrealisten um Buñuel begann auch das Genre des Horrorfilms die Zusammenhänge zwischen (alp)traumartigen Bildern und deren Wirkung auf den Zuschauer für seine Zwecke zu nutzen, die ja explizit auf die Erzeugung von Angst und Verstörung beim Publikum abzielen. Von Freud selbst existiert ein 1919 erschienener Aufsatz „Über das Unheimliche“.

Kinobesucher in Ohnmacht

Friedrich Wilhelm Murnaus expressionistischer Horrorfilm „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ von 1922 wirkt durch seine dunkle Bildsprache, das eindrücklich-zurückhaltende Spiel Max Schrecks und die ewige Geschichte des untoten Wiedergängers. Die Unheimlichkeit der Angst vor dem Nicht-Sterben und der Unfähigkeit zur Liebe, die der Vampir durch den Genuss des Blutes seiner Opfer zu kompensieren sucht, ließen einige der damaligen Kinobesucher ohnmächtig in ihren dunklen Sesseln zusammensacken. Hartnäckig hielten sich auch Gerüchte darüber, dass Max Schreck (auf Englisch: Max Horror, Abk. für „maximum horror“, „größtmöglicher Schrecken“) tatsächlich ein Vampir sei. Ihre zeitlich zusammenhängende Entstehung macht Film und Psychoanalyse zu Kindern des damaligen Zeitgeistes. Beide befassen sich – der Film allerdings nicht ausschließlich – mit den unbewussten Abgründen der menschlichen Seele, ob nun in analysierender, wie bei der Psychoanalyse, oder in der darstellenden Form des Kinofilms.

Der Freudsche Versprecher

In der Psychoanalyse steht der Begriff „Fehlleistung“ für Handlungen, die durch ihren scheinbar irrtümlichen Charakter Rückschlüsse auf unbewusste Motivationen zulassen. Dazu können zum Beispiel das Vergessen von Namen oder Kindheitserinnerungen, unbewusst herbeigeführte Unfälle oder das Verlieren, beziehungsweise Verlegen von Gegenständen gehören. Natürlich deutet nicht jeder Unfall auf einen latenten Todestrieb, und nicht jeder verlorene Schlüsselbund steht für das immanente Gefühl des Ausgeschlossenseins!

Eine besondere Art Fehlleistung

Der „Freudsche Versprecher“, den es übrigens auch als „Verschreiber“ gibt, ist eine besondere Form so einer Fehlleistung. Die Funktionsweise beruht darauf, dass wir meistens nicht ausschließlich auf einen einzigen Gedanken konzentriert sind. Ein ablenkender Gedanke, der sich in einem anderen Zusammenhang als sprachliche Äußerung manifestiert, muss nicht automatisch eine tiefere Bedeutung haben. Wenn ich auf dem Gemüsemarkt bin um Zwiebeln zu kaufen und versehentlich nach Zwieback verlange, weil eine Bekannte mich bat ihr welchen mitzubringen ist das kein Freudscher Versprecher. Auch die „normalen Zungenbrecher“ gehören nicht in diese Kategorie.

Der echte Freudsche Versprecher bringt einen verborgenen Sinn ans Licht, offenbart eine unbewusste Motivation. Der Psychoanalytiker, dessen Patient ein solcher Versprecher unterläuft, kann daraus wichtige Rückschlüsse auf psychodynamische Strukturen ziehen. Im Alltag sorgen diese Versprecher für Verwirrung, Erheiterung oder Unmut, je nachdem welche Bedeutung sie zu enthüllen scheinen.

Das Hohe Haus ist wegen Unverantwortlichkeit geschlossen

Freud erzählt in „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“ vom Präsidenten des Österreichischen Abgeordnetenhauses, der eine unangenehme Sitzung mit folgenden Worten eröffnete:

„Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von soundsoviel Herren und erkläre hiermit die Sitzung für geschlossen.“

Hier offenbart sich nur zu deutlich der Wunsch des Präsidenten, die mit der Sitzung erwarteten Reibereien und Streitereien zu vermeiden. In einem anderen Beispiel führt Freud eine Verteidigungsrede des opportunistischen Reichskanzlers von Bülow für den Kaiser an, die dieser 1907 hielt:

„Was nun die Gegenwart, die neue Zeit Kaiser Wilhelms II. angeht, so kann ich nur wiederholen was ich vor einem Jahr gesagt habe, dass es unbillig und ungerecht wäre, von einem Ring verantwortlicher Ratgeber um unseren Kaiser zu sprechen.“

Von Bülow wollte „unverantwortlich“ sagen, war aber offensichtlich nicht wirklich davon überzeugt, so dass er mit diesem Versprecher für Heiterkeit und Spott in den Reihen der Zuhörer sorgte.

Schiller, Shakespeare und Konsorten

In „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“ widmet Freud dem „Versprechen“ ein ganzes Kapitel. Neben unzähligen Beispielen von Versprechern eigener und fremder Patienten zeigt er dabei auch enthüllende Beispiele aus der Literatur auf. So zitiert er Szenen aus Schillers „Wallenstein“, Shakespeares „Kaufmann in Venedig“ und George Meredith’s „The Egoist“, um darauf hinzuweisen dass die jeweiligen Autoren durchaus um die Zusammenhänge zwischen unbewussten Gedanken und Versprechern wussten, da sie diese als dramaturgisches Mittel eingesetzt haben.

So ist es bei Shakespeare die Porzia, deren Vater sie demjenigen zur Frau versprochen hat, den ihr das Los bescheidet, die befürchten muss, ihr geliebter Bassanio könne das falsche Los ziehen. Auch dann würde sie ihn noch lieben, durch das Gelübde ihrem Vater gegenüber aber in einem unlösbaren Konflikt stehen. So spricht sie zu Bassanio:

„Ich bitt‘ euch, wartet; ein, zwei Tage noch,
Bevor Ihr wagt: denn wählt ihr falsch, so büße
Ich euren Umgang ein; darum verzieht.
Ein Etwas sagt mir (doch es ist nicht Liebe)
Ich möcht Euch nicht verlieren; —
— Ich könnt‘ Euch leiten
Zur rechten Wahl, dann bräch ich meinen Eid;
Das will ich nicht; so könnt Ihr mich verfehlen.
Doch wenn Ihr’s tut, macht Ihr mich sündlich wünschen,
Ich hätt‘ ihn nur gebrochen. O, der Augen,
Die mich so übersehn und mich geteilt!
Halb bin ich Euer, die andre Hälfte Euer –
Mein, wollt ich sagen;
doch wenn mein, dann Euer,
Und so ganz Euer.“

Protagonisten der Psychoanalyse

Dass die Psychoanalyse unter Wissenschaftlern umstritten ist, von vielen gar als Wissenschaft nicht ernst genommen wird, hat wohl teilweise auch mit den recht unkonventionellen Charakteren zu tun, die diese Disziplin bekannt gemacht haben. Bei Freud selber klang schon an dass er gerne ironisch reagierte und sehr selbständige Denkansätze verfolgte. Von Anfang an tappte er bei seinen Kollegen in der Ärzteschaft ins Fettnäpfchen mit seiner These, dass die Hysterie auch Männer befallen könne. Auch war das Klima im Wien der Jahrhundertwende in weiten Teilen der Bevölkerung antisemitisch geprägt. Ein Freidenker, ein Jude noch dazu der die katholische Bevölkerung mit provokanten Theorien über die sexuelle Motivation ihrer Neurosen konfrontierte: die Kontroversen waren vorprogrammiert, und nicht immer wurde dabei rational argumentiert.

Wilhelm Reich

Einer der schillerndsten Psychoanalytiker war wohl Wilhelm Reich. Allein die Tatsache, dass er als Gründer des „Freudo-Marxismus“ gilt und als Verkünder der Orgasmustheorie, einer Weiterentwicklung von Freuds Libidotheorie, für die KPD sexualpolitische Agitation betrieb, lässt Freunde skurriler Ideen aufhorchen. Reich wurde nicht nur aus allen psychoanalytischen Organisationen, sondern auch aus der KPD ausgeschlossen. Frei nach Groucho Marx‘ Motto: „Einem Klub, der mich als Mitglied aufnehmen würde, mag ich gar nicht angehören.“

Als wäre das nicht genug, verdanken wir diesem Mann auch noch die Theorie von der Orgon-Strahlung. Die FDA, eine Bundesbehörde in den Vereinigten Staaten, war von dieser Idee derart angetan dass sie kurzerhand alle Bücher Reichs, die das Wort „Orgon“ erwähnten oder auch nur als geistige Vorbereitung des Konzepts angesehen wurden, zu verbrennen wünschte! Gab es so etwas nicht schon einmal ein viertel Jahrhundert früher im Herzen Europas?

Reichs Anhängerschaft mutet der Natur der Sache gemäß eher etwas esoterisch an. An dieser Stelle soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass Reichs unorthodoxe und radikale Ansichten unter einigen Kollegen tatsächlich Beachtung fanden und inspirierende Wirkung auf diese hatten. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang Ronald D. Laing, der Begründer der „Antipsychiatrischen Bewegung“.

Jacques Lacan

In Frankreich gilt Jacques Lacan als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker des 20. Jahrhunderts. Sperrig sind allerdings nicht nur seine Schriften, die aufgrund Lacans ganz eigener Begrifflichkeiten – ein Wort kann in unterschiedlichen Zusammenhängen verschiedene, oft nicht klar definierte Bedeutungen haben – extrem schwer zugänglich sind.

Lacan wurde aus der Psychoanalytischen Vereinigung Frankreichs ausgeschlossen, weil er sich nicht an die Spielregeln der Therapie hielt. So konnten seine Sitzungen Stunden dauern, oder aber bereits nach wenigen Minuten beendet sein wenn er dies für richtig erachtete. Aus dieser Willkürlichkeit dürfen wir schließen, dass er jegliche Form von Konvention und Routine für durchaus verzichtbar hielt.

Querverbindungen

Im Umfeld der Psychoanalyse finden sich auch die Namen illustrer Philosophen, Wissenschaftler, Künstler und Pädagogen wieder. Lacan war beispielsweise mit Salvador Dali befreundet. Wer das ebenfalls als Hinweis auf einen recht eigenen Charakter nehmen möchte mag dies tun. Der exzentrische Pädagoge Alexander Sutherland Neill wiederum, bekannt geworden durch sein Konzept der antiautoritären Erziehung, war gut mit dem nicht minder außergewöhnlichen Wilhelm Reich befreundet

Kritik der Psychoanalyse

Zu Beginn dieses Artikels wurde die Frage angesprochen, ob die Psychoanalyse mangels Falsifizierbarkeit überhaupt als Wissenschaft zu bezeichnen sei. Wir sahen schillernde Persönlichkeiten in ihrem Umfeld. Wir wissen dass die These, alles sei sexualisiert, Anstoß erregt und heute in dieser Ausschließlichkeit wohl auch nicht aufrecht erhalten werden kann. All diese Faktoren lassen schon erahnen, dass die Psychoanalyse von Beginn an scharfer Kritik ausgesetzt war und dies immer noch ist.

Kritik aus der Gesellschaft

Der österreichische Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus prägte den Satz: „Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Heilung sie sich hält!“ Dass auch die Kirchen, insbesondere die katholische, und ebenso die Nationalsozialisten wenig Begeisterung für Freuds Theorien aufbrachten dürfte wenig erstaunlich sein. In bestimmten politischen Lagern wird die These vertreten, die Psychoanalyse habe den Marxismus im Sinne der Frankfurter Schule befördert.

Kritik aus der Wissenschaft

Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper gehörte ebenfalls zu den Kritikern der Psychoanalyse. Von ihm stammt die Idee, dass Wissenschaftlichkeit mit prinzipieller Falsifizierbarkeit einhergehen müsse. Gemeint ist damit, dass ein Satz, der etwas über die Realität aussagt, seiner Form nach widerlegbar sein muss. Das sei, so Popper, bei der Psychoanalyse nicht gegeben. Gesetzt den Fall, der Traum einer jungen Frau in einem halbleeren Theater zu sitzen würde dahingehend gedeutet, sie hätte nicht so früh heiraten sollen. Widerspräche die Frau nun dieser Ansicht, würde ihr dies als unbewusster Widerstand gegen eine stark libidinös besetzte Deutung ausgelegt und träfe damit erst recht zu!

Der empirische Beweis von Ödipuskomplex, Penisneid, Drei-Instanzen-Modell usw. schließlich, so sagen wiederum viele Wissenschaftler, sei ebenfalls nie erbracht worden. Außerdem könne sich die Psychoanalyse nicht entscheiden, was sie nun letztlich sein wolle: Sozial-, Natur- oder Geisteswissenschaft?

Bedeutung der Psychoanalyse für das 20. Jahrhundert

Wie auch immer man zur Psychoanalyse im wissenschaftlichen oder medizinisch-therapeutischen Sinn steht, eines liegt auf der Hand: Freud hat unsere Weltsicht verändert. Die Kultur und das Selbstverständnis der Menschen des 20. Jahrhunderts wurden in vielen Bereichen von seinen Ansichten und Erkenntnissen beeinflusst.